Klassifizierung
Der Klassifizierungsablauf im österreichischen Strafvollzug
Der Klassifizierungsablauf ist ein dynamischer, mehrstufiger Prozess, der die individuellen Merkmale und Bedürfnisse eines Verurteilten erfasst, um den Vollzug so zu gestalten, dass er das Ziel der Resozialisierung bestmöglich erreicht und gleichzeitig die öffentliche Sicherheit gewährleistet.
I. Die erste Phase: Eingliederung und Erstklassifizierung
Der Prozess beginnt unmittelbar nach der Aufnahme des Verurteilten in die Justizanstalt.
1. Aufnahme und Registrierung
Der Verurteilte wird in die zuständige Justizanstalt aufgenommen (oft eine Einweisungsanstalt). Hier erfolgen die formelle Registrierung und die Zuweisung zu einem Haftraum.
2. Ärztliche und psychologische Untersuchung
- Ärztliche Untersuchung (§ 76 StVG): Unverzügliche Untersuchung zur Feststellung des Gesundheitszustands, des Bedarfs an medizinischer Behandlung und zur Erkennung von Suizidgefährdung oder Suchtproblemen.
- Psychologische Diagnostik (§ 67 StVG): Erfassung der Persönlichkeit, der kognitiven Fähigkeiten, des psychischen Befindens und des Risikoprofils (z.B. Gewaltbereitschaft).
3. Sozialanamnese
Der Soziale Dienst erstellt eine Sozialanamnese (§ 70 StVG). Hierbei werden wichtige Informationen über die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Verurteilten gesammelt, wie:
- Beruflicher Werdegang und Qualifikationen.
- Schulden und finanzielle Verpflichtungen.
- Familienverhältnisse und soziale Bindungen.
- Wohnsituation nach der Entlassung.
4. Erstellung des Einweisungsberichts
Auf Basis aller gesammelten Informationen (Strafregister, Urteil, ärztliche, psychologische und soziale Befunde) erstellt die Anstalt einen umfassenden Einweisungsbericht. Dieser Bericht enthält eine Empfehlung für die endgültige Unterbringung.
II. Die zentrale Phase: Zuweisung und Vollzugsplan
Auf Grundlage des Einweisungsberichts erfolgt die eigentliche Klassifizierung und die Festlegung des Vollzugsplans.
1. Die Zuweisungsentscheidung (§ 14 StVG)
- Entscheidung: Das Bundesministerium für Justiz (oder die zuständige Einweisungsstelle) entscheidet über die endgültige Zuweisung des Verurteilten zu einer bestimmten Justizanstalt oder Abteilung.
Die Zuweisung erfolgt nach folgenden Kriterien:
- Sicherheitsbedürfnis: Fluchtgefahr, Gefahr von Eigen- oder Fremdgefährdung (führt zur Zuweisung zu einer Anstalt/Abteilung mit entsprechender Sicherheitsstufe).
- Spezialbedarf: Alter (Jugendliche), Geschlecht (Frauen), psychische Verfassung (Maßnahmenvollzug), Suchtproblematik (Entwöhnungsanstalten).
- Strafdauer: Längere Strafen führen oft zu Zuweisungen in größere, spezialisiertere Anstalten.
- Vollzugsziel: Die Anstalt muss die notwendigen Behandlungs- und Fördermöglichkeiten (Arbeit, Ausbildung, Therapie) bieten.
2. Erstellung des individuellen Vollzugsplans
Unmittelbar nach der Zuweisung erstellt die Zielanstalt den individuellen Vollzugsplan in Zusammenarbeit der involvierten Dienste (Vollzugsleitung, Psychologischer Dienst, Sozialdienst). Dieser Plan legt fest:
- Die Art der Beschäftigung (Arbeit, Ausbildung).
- Die notwendigen Therapien (z.B. Suchttherapie, Anti-Gewalt-Training).
- Die schrittweise Gewährung von Vollzugslockerungen (Freigang, Haftunterbrechung).
- Die geplanten Schritte zur Entlassungsvorbereitung.
III. Die dynamische Phase: Überprüfung und Anpassung
Die Klassifizierung ist kein einmaliger Akt, sondern muss sich dem Fortschritt des Verurteilten anpassen.
1. Laufende Beobachtung und Bewertung
Das Verhalten, die Mitarbeit und die psychische Verfassung des Gefangenen werden während des gesamten Vollzugs durch die Justizwache, den Sozialdienst und den Psychologischen Dienst kontinuierlich beobachtet und dokumentiert.
2. Regelmäßige Überprüfung des Vollzugsplans
Der Vollzugsplan wird in regelmäßigen Abständen überprüft und angepasst (§ 67a StVG). Dies geschieht insbesondere, wenn sich der Zustand oder das Verhalten des Gefangenen wesentlich ändert, oder wenn die Voraussetzungen für die nächste Stufe der Lockerung (z.B. Übergang in den offenen Vollzug) erreicht sind.
3. Überstellung (§ 15 StVG)
Stellt sich im Laufe des Vollzugs heraus, dass die aktuelle Unterbringung den Zielen des Vollzugs nicht mehr dient (z.B. weil eine spezifische Therapie nicht verfügbar ist oder eine höhere Sicherheitsstufe nicht mehr notwendig ist), kann der Verurteilte in eine andere Anstalt oder Abteilung überstellt werden. Diese Überstellung stellt eine Neuklassifizierung dar und ist ein Beleg für die Dynamik des Systems.
III. Gesetzliche Grundlagen (Auszug)
Strafvollzugsgesetz (StVG)
§ 14 StVG – Zuweisung zu Anstalten und Abteilungen
(1) Verurteilte sind in Anstalten oder Abteilungen unterzubringen, die ihrer Persönlichkeit, ihrer Straftat und den Zielen des Strafvollzuges am besten entsprechen.
(2) Dabei sind insbesondere zu berücksichtigen: die Art und Schwere der Straftat, die Persönlichkeit des Verurteilten, das Sicherheitsbedürfnis sowie die Möglichkeiten der Förderung und Behandlung.
§ 15 StVG – Überstellung
Verurteilte können aus wichtigem Grund in eine andere Anstalt oder Abteilung überstellt werden, wenn dies dem Vollzugsziel oder der Sicherheit und Ordnung dient.
§ 67 StVG – Grundsatz der Förderung der Resozialisierung
(1) Im Vollzug der Freiheitsstrafe ist auf die Resozialisierung des Verurteilten Bedacht zu nehmen. Hierzu gehört die Erstellung eines individuellen Vollzugsplans.
§ 70 StVG – Hilfe bei persönlichen Angelegenheiten
(1) Den Verurteilten ist in der Regel soziale Betreuung zu gewähren, die geeignet ist, sie bei der Regelung ihrer persönlichen, wirtschaftlichen und sozialen Angelegenheiten zu unterstützen (Sozialanamnese).
§ 76 StVG – Ärztliche Untersuchung
(1) Jeder Verurteilte ist unverzüglich nach seinem Eintreffen in der Anstalt ärztlich zu untersuchen.