Religionsfreiheit
Religionsfreiheit in Österreich und internationale Aspekte (insbesondere EMRK) – Mit Fokus auf die Situation in Haft
Die Religionsfreiheit ist ein fundamentales Menschenrecht, das in Österreich auf nationaler Ebene umfassend garantiert und durch internationale Abkommen zusätzlich geschützt wird. Sie umfasst sowohl das Recht des Einzelnen, eine Religion oder Weltanschauung zu haben oder nicht zu haben, als auch das Recht, diese in Gemeinschaft mit anderen oder privat zu praktizieren. Auch für Personen, die ihrer Freiheit entzogen sind, bleibt dieses Recht, wenngleich mit spezifischen Ausprägungen und möglichen Einschränkungen, bestehen.
I. Nationale Grundlagen der Religionsfreiheit in Österreich
In Österreich ist die Religionsfreiheit mehrfach in Verfassungsrang geschützt:
- Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger (StGG 1867):
- Art. 14 StGG: Garantiert die volle Glaubens- und Gewissensfreiheit. Jedem steht das Recht zu, die Religion seiner Wahl zu bekennen und auszuüben. Es gibt die Freiheit des öffentlichen Bekenntnisses und der Hausübung.
- Art. 15 StGG: Regelt die Freiheit der Wissenschaft und Lehre, was auch die Freiheit religiöser Lehre einschließt.
- Art. 16 StGG: Gewährt allen gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften die Freiheit der öffentlichen Religionsausübung, die selbständige Ordnung und Verwaltung ihrer inneren Angelegenheiten sowie den Besitz und Genuss ihrer Anstalten, Fonds und Anstalten. Es betont die Gleichberechtigung aller gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften.
- Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG):
- Art. 7 B-VG: Das allgemeine Gleichheitsprinzip schützt auch vor Diskriminierung aufgrund der Religionszugehörigkeit.
- Art. 13 StGG (als Teil des B-VG): Gewährleistet die Freiheit der Meinungsäußerung, die auch religiöse Äußerungen umfasst.
- Religionsgesetz (Bundesgesetz über die Rechtspersönlichkeit von Religionsgesellschaften): Dieses Gesetz (BGBl. I Nr. 68/1998 in der jeweils geltenden Fassung) regelt die Voraussetzungen, unter denen Glaubensgemeinschaften als gesetzlich anerkannte Kirchen und Religionsgesellschaften oder als eingetragene religiöse Bekenntnisgemeinschaften anerkannt werden können. Die Anerkennung verleiht bestimmte Rechte und Pflichten, wie z.B. das Recht auf öffentlichen Religionsunterricht, eigene Schulen oder staatliche Förderung.
II. Internationale Grundlagen der Religionsfreiheit (insbesondere EMRK)
Österreich ist Vertragspartei zahlreicher internationaler Menschenrechtsabkommen, die die Religionsfreiheit schützen. Die wichtigste davon ist die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK).
1. Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK)
- Art. 9 EMRK (Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit): Dies ist die zentrale Bestimmung für die Religionsfreiheit in Europa.
- Absatz 1: Gewährleistet das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit. Dies umfasst die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu wechseln, sowie die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder privat, durch Gottesdienst, Unterricht, Bräuche und Riten zu bekennen.
- Absatz 2: Ermöglicht Einschränkungen dieser Freiheit, aber nur unter sehr strengen Voraussetzungen. Eine Einschränkung muss: gesetzlich vorgesehen sein (also eine Rechtsgrundlage haben). ein legitimes Ziel verfolgen (z.B. Schutz der öffentlichen Sicherheit, Ordnung, Gesundheit, Moral oder der Rechte und Freiheiten anderer). in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein (d.h. verhältnismäßig und nicht über das erforderliche Maß hinausgehend).
- Umfang: Art. 9 EMRK schützt nicht nur die Freiheit des "Haben-Könnens" einer Religion, sondern auch die Freiheit des "Ausüben-Könnens". Dies umfasst sowohl positive (religiöse Praktiken) als auch negative (Freiheit, keiner Religion anzugehören oder sich nicht religiös zu äußern) Aspekte. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) interpretiert dies weit.
2. Weitere internationale Abkommen
- UN-Pakt über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR): Art. 18 ICCPR enthält ähnliche Bestimmungen wie Art. 9 EMRK.
- Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR): Art. 18 AEMR formuliert die Religionsfreiheit als universelles Menschenrecht.
III. Bedeutung und Anwendungsbereiche der Religionsfreiheit
Die Religionsfreiheit wirkt sich in vielen Bereichen des täglichen Lebens und der staatlichen Ordnung aus:
Individuelle Freiheit
- Freiheit, einer Religion anzugehören oder nicht.
- Freiheit, die Religion zu wechseln.
- Freiheit, religiöse Bräuche (Kleidung, Ernährung, Gebet) zu praktizieren.
- Recht, Kinder im eigenen Glauben zu erziehen.
- Gewissensfreiheit (z.B. im medizinischen Bereich, Wehrdienst).
- Gemeinschaftliche Aspekte:
- Recht auf Gründung und Betätigung von Religionsgemeinschaften.
- Recht auf Versammlung zu religiösen Zwecken (Gottesdienste).
- Recht auf religiösen Unterricht und die Errichtung eigener Schulen.
- Autonomie der Kirchen und Religionsgesellschaften in ihren inneren Angelegenheiten.
- Staatliche Neutralität und Gleichbehandlung:
- Der Staat muss sich religiös neutral verhalten. Dies bedeutet nicht, dass er religionsfeindlich sein muss, sondern dass er alle Religionen gleich behandeln und keine bevorzugen oder diskriminieren darf.
- Verbot einer Staatskirche in Österreich.
- Recht auf Religionsunterricht in öffentlichen Schulen für Angehörige anerkannter Religionsgemeinschaften.
- Möglichkeit der Befreiung vom Religionsunterricht.
IV. Religionsfreiheit in Haft (§ 66 StVG)
Auch im Strafvollzug bleibt die Religionsfreiheit ein zentrales Recht, allerdings können die äußeren Umstände und die Notwendigkeit der Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung der Anstalt zu spezifischen Anpassungen führen.
Recht auf Religionsausübung
- Gefangene haben das Recht, ihre Religion oder Weltanschauung auszuüben. Dies umfasst die Möglichkeit, Gottesdienste oder andere religiöse Feiern zu besuchen, sofern diese in der Anstalt angeboten werden oder die Teilnahme an externen Veranstaltungen unter den Bedingungen der Vollzugslockerungen (z.B. Ausführung) möglich ist.
- § 66 Abs. 1 StVG: Gewährleistet den Verurteilten die Freiheit der Religionsausübung. Sie dürfen Seelsorger ihrer Glaubensgemeinschaft empfangen und an Gottesdiensten teilnehmen.
Seelsorge
- Gefangene haben das Recht, von Seelsorgern ihrer Religions- oder Bekenntnisgemeinschaft besucht und betreut zu werden.
- § 66 Abs. 2 StVG: Die Anstalten haben die Seelsorge durch die jeweiligen Religions- oder Bekenntnisgemeinschaften zu erleichtern und die Seelsorger zu unterstützen. Bei Bedarf sollen geistliche Betreuer bestellt werden.
- Religiöse Vorschriften (Ernährung, Kleidung etc.):
- Die Anstalt muss, soweit es die Umstände zulassen und die Sicherheit und Ordnung nicht gefährdet werden, religiösen Bedürfnissen entgegenkommen. Dies betrifft z.B. die Bereitstellung von Speisen, die religiösen Vorschriften entsprechen (z.B. halal, koscher), oder das Tragen bestimmter religiöser Kleidung oder Symbole.
- Einschränkungen: Die Anpassung an religiöse Vorschriften kann jedoch durch die Erfordernisse des Anstaltsbetriebs, der Sicherheit oder der Gleichbehandlung begrenzt sein (z.B. wenn die Herstellung spezifischer Speisen unverhältnismäßig aufwändig wäre oder Kleidung die Sicherheit beeinträchtigt).
Einschränkungen in Haft
- Die Ausübung der Religionsfreiheit kann in Haft auf Basis von Art. 9 Abs. 2 EMRK und den nationalen Gesetzen (insbesondere StVG) eingeschränkt werden, wenn dies aus Gründen der Anstaltssicherheit, der Ordnung oder der Vermeidung von Störungen notwendig und verhältnismäßig ist.
- Beispiele: Beschränkung der Anzahl der Gottesdienstbesucher, Zeitbeschränkungen für Seelsorgerbesuche, Verbot bestimmter Rituale, die die Sicherheit gefährden könnten.
- Solche Einschränkungen müssen immer gesetzlich vorgesehen, ein legitimes Ziel verfolgen und in einer demokratischen Gesellschaft (hier: im Rahmen eines geordneten Vollzugs) notwendig sein.
V. Grenzen der Religionsfreiheit
Wie bei allen Grundrechten ist auch die Religionsfreiheit nicht schrankenlos. Einschränkungen sind zulässig, müssen aber den Kriterien des Art. 9 Abs. 2 EMRK und nationalen Gesetzen entsprechen, d.h.:
- Gesetzliche Grundlage: Die Einschränkung muss in einem Gesetz vorgesehen sein.
- Legitimes Ziel: Sie muss einem anerkannten öffentlichen Interesse dienen (z.B. Schutz der öffentlichen Sicherheit, Ordnung, Gesundheit oder Moral, Schutz der Rechte und Freiheiten anderer).
- Verhältnismäßigkeit: Die Einschränkung muss notwendig und angemessen sein, um das legitime Ziel zu erreichen, und darf nicht weiter gehen, als unbedingt erforderlich. Der Eingriff muss in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Zweck stehen.
Beispiele für zulässige Einschränkungen (oft umstritten):Religionsfreiheit in Österreich und internationale Aspekte (insbesondere EMRK) – Mit Fokus auf die Situation in Haft
- Verbot religiös motivierter Straftaten (z.B. Tieropfer außerhalb gesetzlicher Regelungen).
- Bauvorschriften für Sakralbauten.
- Einschränkungen religiöser Symbole in bestimmten öffentlichen Kontexten (z.B. Neutralitätspflicht von Richtern oder Lehrern).
- Ausnahmen von religiösen Speisevorschriften in bestimmten Kontexten (z.B. im Gefängnis, wenn die Sicherheit oder die Ressourcen nicht ausreichen).
Volltext der referenzierten Paragraphen
Art. 14 StGG (Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger) – Glaubens- und Gewissensfreiheit
Jedem steht das Recht zu, seine Religion und Weltanschauung frei zu bekennen und auszuüben. Niemand kann zu einer religiösen Handlung oder Teilnahme am Religionsunterricht gezwungen werden.
Art. 15 StGG (Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger) – Freiheit der Wissenschaft und Lehre
Die Freiheit der Wissenschaft und ihrer Lehre ist gewährleistet. Der Unterricht und die Erziehung sind frei und öffentlich zugänglich.
Art. 16 StGG (Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger) – Rechte der Kirchen und Religionsgesellschaften
Allen gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften ist die selbständige Ordnung und Verwaltung ihrer inneren Angelegenheiten und der Besitz und Genuß ihrer Anstalten, Stiftungen und Fonds gewährleistet. Sie haben das Recht der öffentlichen Religionsausübung und zur Erteilung des Religionsunterrichts in ihren Gebäuden.
Art. 7 B-VG (Bundes-Verfassungsgesetz) – Gleichheit vor dem Gesetz
(1) Alle Staatsbürger sind vor dem Gesetz gleich.
(2) Privilegien der Geburt, des Geschlechtes, des Standes, der Klasse oder des Bekenntnisses sind ausgeschlossen.
(3) Niemand darf wegen seiner Abstammung, seines Geschlechtes, seines Bekenntnisses, seiner Heimat, seines Alters, seiner körperlichen oder geistigen Behinderungen oder seines sonstigen Status diskriminiert werden.
Art. 13 StGG (Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger) – Meinungsfreiheit
Jedermann hat das Recht, seine Meinung durch Wort, Schrift, Druck oder durch bildliche Darstellung innerhalb der Schranken der Gesetze frei zu äußern.
Art. 9 EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention) – Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit
(1) Jedermann hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht umfasst die Freiheit des Wechsels der Religion oder der Weltanschauung sowie die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Unterricht, Bräuche und Riten zu bekennen.
(2) Die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu bekennen, darf nur denjenigen Beschränkungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind für die öffentliche Sicherheit, zum Schutz der öffentlichen Ordnung, Gesundheit oder Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer.
§ 66 StVG (Strafvollzugsgesetz) – Religionsausübung
(1) Den Verurteilten ist die Freiheit der Religionsausübung gewährleistet. Sie dürfen Seelsorger ihrer Religions- oder Bekenntnisgemeinschaft empfangen und an Gottesdiensten oder anderen religiösen Feiern teilnehmen, die in der Anstalt abgehalten werden.
(2) Die Anstalten haben die Seelsorge durch die jeweiligen Religions- oder Bekenntnisgemeinschaften zu erleichtern und die Seelsorger bei ihrer Tätigkeit zu unterstützen. Soweit es die Umstände zulassen und keine Bedenken entgegenstehen, sind geistliche Betreuer, falls erforderlich, auch in Vollzeit oder Teilzeit zu bestellen.
(3) Den Verurteilten ist die Pflege des religiösen Lebens auch sonst zu ermöglichen, soweit dies mit den Erfordernissen der Sicherheit und Ordnung sowie den Zielen des Vollzuges vereinbar ist. Insbesondere ist auf religiöse Speisevorschriften und Bekleidung Rücksicht zu nehmen, wenn dies mit dem Anstaltsbetrieb und den Kosten vereinbar ist.